Brummende Köpfe auf fast 5’000 Metern

Unweit der grössten Stadt Nordamerikas wartet die nächste Millionenstadt namens Puebla auf uns. Obwohl die beiden Städte keine Autostunde auseinander liegen, gibt es zwischen den beiden Metropolen einen Zwischenhalt für uns. Die Empfehlung im Iztaccíhuatl-Popocatépetl National Park, kurz Izta-Popo, eine Wanderung zu unternehmen haben wir schon von einigen Reisenden erhalten. Wir fahren südlich von Mexiko City in Richtung Nationalpark. Erst auf der Autobahn, um möglichst schnell aus dem Verkehr der Grossstadt zu fliehen. Später dann auf Landstrassen zwischen geernteten Maisfeldern und die letzten Kilometer dann steil den Berg hoch. Von den 2’200 Metern über Meer in der Stadt fahren wir höher und höher, bis wir den Paso de Cortés auf 3’600 m Höhe erreichen. Hier, auf der Ebene zwischen den beiden Vulkanen, befindet sich das Visitor Center des Nationalparkes wo man sich für die Wanderung registrieren und den Eintritt in den Park bezahlen muss.

Der Name des Parkes steht für die beiden Vulkane, welche die geschützte Zone umfasst. Der Iztaccíhuatl (Izta) ist der dritthöchste Gipfel Mexikos und seine 5’230 m kann man erklimmen. Sein Name bedeutet auf Náhuatl «weisse Dame», da er auch im Sommer schneebedeckt ist. Der aktive Vulkan Popocatépetl (Popo) markiert mit seinen 5’452 m der zweithöchste Punkt Mexikos und seine Besteigung ist verboten. Ausserdem ist er sehr aktiv, dampft fast rund um die Uhr und alle 30 Minuten steigt eine Aschenwolke aus dem Krater. Sein passender Name bedeutet «Rauchender Berg». Es gibt eine Sage über die beiden Berge, hier die Kurzfassung: Izta und Popo waren ein Liebespaar. Popo, der Anführer eines Stammes, zog in den Krieg. Izta blieb zu Hause. Ein Krieger überbrachte die Falschmeldung, dass Popo gefallen ist. Vor Kummer starb Izta. Popo kehrte zurück und starb vor Trauer. Die beiden sind als Vulkane wiedergeboren und der rauchende Popo wacht seither an der Seite der schlafenden Izta.

Weiter mit unserer Geschichte… Da wir an einem Samstag auf den Berg fahren, hat es viele Besucher aus der Hauptstadt. Der Parkplatz «La Joya», von welchem die von uns geplante Wanderung auf den Izta losgeht, liegt auf 4’000 Meter und die Anzahl Parkplätze ist sehr beschränkt. Natürlich ist er heute schon voll und wir dürfen noch nicht, wie geplant, hochfahren, um am nächsten Morgen früh loszuwandern. Wir bleiben deshalb auf dem Paso de Cortés für die Nacht. Auf dem Parkplatz treffen wir Ursula und Richard (siehe «Coconuts and Tequila») welche die letzten Tage auf dem Berg verbracht haben. Sie geben uns einige Tipps für die morgige Wanderung. Wir nutzen den angebrochenen Tag, um von hier aus eine kurze Wanderung zu machen und uns an die Höhe zu gewöhnen. Bereits hier auf «geringer» Höhe ist die Natur des Nationalparkes unglaublich schön. Kaum zu glauben, dass in 70 Kilometer Umkreis über 30 Millionen Menschen wohnen. Etliche Male beobachten wir, wie Popo Asche spuckt und die Wolke in Richtung Osten weggeblasen wird.

Früh morgens stehen wir bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt auf. Das Büro zur Registrierung soll um 7:00 Uhr öffnen und wir wollen danach gleich hochfahren, um loszulaufen. Mit mexikanischer Pünktlichkeit (um halb 8) öffnen sie die Türen und wir dürfen uns Registrieren. Die Fahrt hoch zum Parkplatz dauert dann aufgrund der Strasse nochmals fast eine Stunde. Die wohl schlechtesten 10 Kilometer Strasse auf unserer Reise. So um halb 9 laufen wir dann endlich los. Die Wanderung von 4’000 Höhenmeter auf den Gipfel bei 5’230 m über Meer ist in verschiedene Etappen aufgeteilt. Es gibt vier Aussichtspunkte (Portillos), danach kommt das Refugio. Eine Schutzunterkunft mit Koch- und Schlafmöglichkeit, mehr oder weniger einfach eine Blechhütte. Danach geht der Weg steil hoch auf den Gipfel. Wir haben aber nicht vor ganz hochzugehen. Es fehlt uns an Ausrüstung, denn Helm, Harness, Seile und Eispickel werden dringendst geraten. Obwohl das viele Mexikaner als nicht so wichtig empfinden. Wir wollen einfach mal loslaufen, von einem Aussichtspunkt zum Nächsten. Wenn wir uns nicht mehr wohl fühlen, kehren wir um – so lautet der Plan.

Die erste Etappe bis zum Portillo 1 (4’230 m) ist leicht zu machen. Geht zwar aufwärts, aber nicht steil und es ist ein schöner Wanderweg. Die zweite Etappe auf 4’420 m hat es dann etwas mehr in sich.  Zwar sehr steil aber auch noch ein guter Weg. Der dritte Teil (4’550 m) ist noch immer sehr steil und der Weg wird immer mehr zu einem Pfad durch Geröll und Staub. Uns wurde gesagt, dass der 3. Aussichtspunkt der Beste ist, doch wir sind noch fit und spüren die Höhe noch nicht ganz so fest. Es geht weiter. Die vierte Etappe auf 4’625 m ist dann nochmals etwas anspruchsvoller – wir klettern über die Steine, steil geht es hoch. Langsam aber sicher spüren wir auch ein bisschen die Höhe im Kopf. Es geht nicht mehr ganz so schnell vorwärts und erste Zeichen von Kopfschmerzen zeigen sich bei Steffi. Wir setzen uns das neue Ziel, das Refugio auf knapp 4’750 m wollen wir erreichen. Gesagt getan, zu Mittag erreichen wir die Hütte. Von hier aus sehen wir den Weg rauf zum Gipfel. Fast senkrecht im losen Geröll. Wir sagen Nein Danke, denn mittlerweile ist der Berg auch ziemlich in den Wolken. Etwas über der Hütte suchen wir uns bequeme Steine und essen unser Sandwich, einen Power-Riegel und machen uns dann langsam wieder auf den Weg runter. Der Abstieg stellte sich dann bei gewissen Etappen als noch anspruchsvoller als der Aufstieg heraus.

Auf dem Parkplatz angekommen, ändern wir unseren Übernachtungspläne. Wir wollten eigentlich noch hier oben auf 4’000 Meter übernachten. Doch die Höhe setzt uns immer mehr zu. Unsere Köpfe brummen um die Wette. Obwohl wir keine Energie und keine Lust mehr haben weit zu fahren, wollen wir wenigstens noch die paar Hundert Höhenmeter zum Paso de Cortés zurückfahren. Vielleicht reicht das ja, um wenigstens die Kopfschmerzen loszuwerden. Auf dem Paso de Cortés parken wir wieder auf unserem Schlafplatz, etwas abgelegen, ganz hinten mit Sicht auf den speienden Popo. Doch der Popo kann uns mal, wir können nicht mehr. Auch Schmerztabletten beruhigen unsere pochenden Köpfe nicht. Eine Portion Pasta später schlafen wir bereits früh ein – um die Nacht durchzuschlafen. Zum Glück sind die Kopfschmerzen am nächsten Morgen weg. Wir werden von stampfenden Polizisten geweckt. Anscheinend ist der Parkplatz, wenn unter der Woche keine Touristen da sind, der Platz für Marschübungen der Bergpolizei. Sie winken und lachen uns zu und lassen uns friedlich frühstücken.

Wir steuern heute Cholula an. Ursula hat uns eine Nachricht geschrieben und uns vor der Strasse gewarnt. Die Stadt liegt zwar nur 45 Kilometer entfernt, doch der Weg über die direkte Strasse soll über 2.5 Stunden dauern, die Strasse sei so schlecht. Wollen wir uns, bzw. Lenny, das wirklich antun? Nee, wir fahren deshalb einen Umweg von 100 Kilometern, einmal rund um den Izta herum. Trotz 100 Kilometer mehr, erreichen wir Cholula in nicht mal der Hälfte der Zeit. Natürlich dank der Tollstrasse. In Mexiko gibt’s nämlich oft eine Tollstrasse und eine kostenlose «Libra». Die Libra führt immer durch die Dörfer, mitten durch das mexikanische Leben und über hunderte von Topes (Speedbumps, Bodenwellen oder wie man das nennt). Die Tollstrassen sind ziemlich teuer, dafür wird (manchmal, nicht immer) die Fahrzeit dezimiert, denn die Strassen können (oft) mit europäischen Autobahnen mithalten.

Cholula, ein Vorort der Millionenstadt Puebla, ist ein weiteres Pueblo Mágico und bekannt für seine Pyramide. Die «Gran Pirámide de Cholula» ist nach dem Volumen die grösste Pyramide der Welt. Die Ruinen sind nur teilweise ausgegraben und deshalb sieht man von weitem eher einen Hügel als eine Pyramide vor sich. Die Spanier haben im 16. Jahrhundert obendrauf eine Kirche gebaut. Diese thront noch heute hoch über Cholula, mit atemberaubender Sicht auf Izta und Popo. Hier geniessen wir den Sonnenuntergang hinter Popo.

In Cholula haben wir einen privaten Gastgeber. Nora und Victor, zwei pensionierte Mexikaner, die sich gerne mit Reisenden austauschen. Sie haben auf iOverlander einen Eintrag erstellt und man kann sich bei Ihnen melden, wenn man in Cholula eine sichere Bleibe sucht. Richard und Ursula sind bereits bei Ihnen und wir erkunden uns mal, ob es noch Platz hat. Victor schiebt kurzerhand seinen Strandbuggy quer über den Garten, um uns noch ein Plätzchen auf dem Parkplatz freizumachen. Die beiden perfekten Gastgeber lassen uns ihre Wohnung nutzen, Küche, Badezimmer Wohnzimmer. Wir sollen uns wie zuhause fühlen. Ausserdem haben wir unsere persönlichen tierischen Wächter 😊

In Cholula finden wir auch das erste Mal, seit wir die USA verlassen haben eine Wäscherei, bei der man selber waschen kann. Wir nutzen das natürlich aus und waschen alles, was irgendwie waschbar ist. Um die Zeit zu überbrücken, kriegt auch Lenny eine Wäsche und Manuel lässt sich kurzerhand seine Haare im benachbarten Barbershop schneiden. Ja nicht nur die Kleider- und Lennywäsche haben wir nötig, auch Manuels Haare haben es wieder mal nötig. Ausserdem bescheren wir dem Coiffeur seinen ersten blonden Kunden – das muss fotografiert werden, sonst glaubt ihm das Keiner 🤣

Von Cholula aus ist man in 20 Minuten per Taxi im Zentrum von Puebla. Eigentlich haben wir nicht so Bock auf schon wieder Grossstadt, doch Puebla reizt uns doch. Ausserdem fühlt sich Steffi heute, nach einer Nacht auf dem Klo, nicht so toll. Wir haben wahrscheinlich etwas gegessen, getrunken oder sonst was, dass Steffis Magen nicht so gut bekommt. Doch Puebla soll eine schöne Stadt sein, die wir nicht verpassen wollen. In der Innenstadt angekommen, laufen wir die schönen Gassen ab, besuchen einige Handwerk- und Künstlermärkte und schauen uns ein Museum an, welches unter den Quartieren in geheimen Gängen hindurchführt. Die geheimen Gänge waren einst Wasserkanäle, die später von Gangstern als Fluchtwege und Lagerräume dienten und heute kann man sie besichtigen. Am späten Nachmittag meldet sich Manuels Magen, nicht weil es ihm auch schlecht geht, sondern weil wir das Mittagessen vergessen haben. Normalerweise kündet Steffis Bauch unsere Essenszeiten an, doch heute ist verkehrte Welt. Nahe des Zócalos probiert Manuel die lokale Spezialität «Cemita de Puebla» – eigentlich nichts anderes als eine Torta. Ein Sandwich mit Pastorfleisch und dazu bestellt er noch eine zweite Cemita mit arabischem Fleisch. Dies ist ähnlich wie Kebab und hier eine Spezialität. Obwohl heute nur Manuel isst, haben wir für zwei Personen bestellt (es ist einfach sooo lecker und auch sooo günstig) – Manuel hat sich natürlich total überessen. Steffi knabbert nebenbei genüsslich an ihrem, beim Franzosen gekauften, Baguette – das kann ihr Magen grad noch so halbwegs ertragen.

Zurück in Cholula heisste es ab ins Bett für Steffi. Ihr geht es Mies. Manuel geht mit Richard und Ursula derweil in Cholula noch aus… Ausgehen bedeutet bei uns mittlerweile ein paar Tacos essen, ein oder zwei Bier trinken und dann ist die Nightlife-Energie auch schon aufgebraucht.

Wir wollen die Nacht abwarten und je nachdem, was Steffis Magen meint, weiterziehen oder noch eine weitere Nacht die Gastfreundschaft unseren neuen mexikanischen Freunden geniessen. Nora und Victor lassen uns aber nicht ziehen, bevor sie nicht noch ein Familienfoto für ihr Fotoalbum mit allen Besuchern haben 😊

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